Ausdrücken und sich beeindrucken lassen –

über Kunst und/als Therapie

ein Beitrag von Ingrid Hubacek – Stenmo und Bernhard Hubacek, Psychotherapeuten, erschienen in der Fachzeitschrift „tools“ 02/06

Ingrid Hubacek-Stenmo Bernhard Hubacek

„Mal dich frei, Ingrid!“, hörte ich einen guten Seelenfreund vor vielen Jahren zu mir sagen, während er mir beim Malen zusah. Ich befand mich gerade in eine schwierigen Trennungssituation und wusste noch nicht wie mein weiterer Weg aussehen würde. Immer wieder bekam ich es mit schwierigen Gefühlen, Gedanken und Fragen zu tun, auf die ich noch keine Antwort wusste. In dieser Situation versuchte ich immer wieder diese Stimmungen in mir aufzusuchen und symbolischen Ausdruck dafür zu finden. Wie ein Landschaftsmaler begann ich meine ich „inneren Landschaften“ zu malen oder in Teppiche zu verweben.

Die moderne Expressive Arts Therapy setzte sich in den Siebziger Jahren in den USA als eigenständige Therapiemethode durch. Die von Ingrid beschriebene Darstellung der inneren Welt mit Farben, Materialien und Formen entspricht dem Selbstverständnis dieser Methode genau. Von nun an sollte nicht mehr bloß mit einem Material gearbeitet werden können, sondern alle Materialen, die in der Natur vorkommen, alle Medien, alle Formen des Spiels, alle Formen der Bewegung und des Tanzes, die umfassende Welt der Klänge und der Musik, das Tönen und Singen mit und ohne Instrumenten, kurz: alle Formen des menschlichen Ausdrucks sollten von nun an in die therapeutische Arbeit einbezogen werden können.

Nathalie Rogers, Tochter von Carl Rogers, dem Begründer der Personzentrierten Psychotherapie, nahm sich besonders dieser Richtung an und entwickelte den personzentrierten Ansatz in dieser Richtung weiter: Alles was den „inneren Dialog“ des Klienten nur irgendwie fördern konnte, sollte gefördert werden.

Dies stellt eine deutliche Weiterentwicklung der früheren psychiatrischen - Kunsttherapie dar, deren Anfänge bis zum Beginn des 19. Jh. zurückreichen, und die sich meist auf wenige Materialien beschränkend irgendwo zwischen Beschäftigungs- und Arbeitstherapie angesiedelt hatte.

Immer wieder gelangten Bilder von psychiatrischen Patienten an die Öffentlichkeit, insbesondere von depressiven und schizophrenen Patienten, die für entsprechendes Aufsehen sorgten. Man erhoffte sich durch das Betrachten der Bilder von Kranken diagnostische Aufschlüsse. Kunst sollte also für etwas Verständnis oder „Sprache“ geben, das man nicht verstehen konnte, wo Worte fehlten.

Lösungsorientiertes Malen

Ingrid: „Immer wieder malte ich die selben Themen, immer wieder begann ich von Neuem… immer wieder von Neuem und doch wieder im Alten gefangen, aus den verschiedensten Perspektiven heraus… bis ich es endlich hinter mir lassen konnte. Die Kunstwerke waren mir als solche zum damaligen Zeitpunkt überhaupt nicht wichtig, aber das Malen meiner inneren Bilder und das Entwerfen und Weben von Wandteppichen dazu war wichtiger Teil meiner Bewältigungs- und Trauerarbeit geworden“.

Nathalie Rogers nennt dementsprechend auch das Kennenlernen der eigenen Tiefe bzw. die „Exploration des Selbst“ als das primäre Ziel jeder Form von Kunsttherapie. Vom Therapeuten fordert sie eine entsprechend wohlwollende akzeptierende Haltung mit größtmöglicher Empathie. Die künstlerische Perfektion wird ausdrücklich vernachlässigt.

Bettina Egger, die der Gruppe der analytisch orientierten Kunstherapeuten zugerechnet wird, stützt sich in ihrer Arbeit auf bekannte ich-stützende Maßnahmen und sieht die Aufgabe der Kunsttherapie auch in der Förderung des Gefühls der persönlichen Identität und des Reifungsprozesses im allgemeinen.

Sie bietet „Begleitetes Malen“ als eigenständige Therapieform an, die sich aus dem „Ausdrucksmalen“ entwickelt hat. Ziel des Begleiteten Malens ist neben der Förderung von Kreativität und Ausdruck und Förderung der sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit ausdrücklich auch die Entwicklung von Lösungskompetenz. Mit Hilfe des geschaffenen „Materials“ sollten Grundlagen für fällige Neuentscheidungen geschaffen werden. Insoferne gilt dieser Ansatz auch als „lösungsorientiertes Malen“.

Der Therapeutin kommt dabei eine aktivere Rolle zu. Die therapeutische Arbeit geschieht am Bild selbst, das Entstandene wird besprochen, geklärt, mitunter auch gedeutet.

Genauso wichtig wird aber auch die Analyse des Prozesses genommen, der zum Bild führt, die Art des Herangehens, die Beziehung, die zum Bild aufgenommen wurde(oder zur gestellten Aufgabe). So ist auch ein themenzentrierter Zugang möglich. Von therapeutischer Seite geht man bei der Bearbeitung des Prozesses davon aus, dass der innerpsychsiche Vorgang, der zum Entstehen eines Bildes führt, auf ähnliche Art und Weise geschieht, wie die Person auch andere Aufgabenstellungen im Alltag gewöhnlich bewältigt. Ähnlich einer verhaltenstherapeutischen Herangehnsweise können die Möglichkeiten des Klienten nun besprochen und analysiert werden.

Wie sit die persönliche Herangehensweise an das Bild? Diese frage interessiert. Ist sie spontan, offen, großräumig, ängstlich, verschwenderisch mit Platz und materila oder sparsam? Neigt die person zu Korrekturen und Nachbesserungen oder kann sie das Ergebnis akzeptieren?

Es liegt auf der Hand, dass in der Realitätskonfrontation mit dem geschaffenen Produkt sehr viele inneren Themen und Gefühle bewusst gemacht werden können. Das geschaffene Bild ist in gewisser Weise unbestechlich. Es ist so und nicht anders entstanden.

Der Malort als besonderer Raum

Arno Stein, Künstler und Maltherapeut, prägte den Begriff des „Malortes“ als Platz der Verschwiegenheit. Hier sollte ganz frei von äußerer Beeinflussung – zu diesem Zweck experimentierte er auch mit verdunkelten Räumen - gearbeitet werden können.

Der Malende sollte sich vor jeder Beurteilung sicher wissen. Insbesondere bei Kindern, so Stern, sollte jede Form der Interpretation oder Korrektur vermieden werden.

Der Prozess des therapeutischen Malens ähnelt demnach einer archäologischen Ausgrabungsarbeit, einem Freilegen von Verborgenem, einer Spurensuche im Bereich der eigenen Seelentiefe, die wahrhaft Neues, Einzigartiges, Kostbares zutage fördern kann.

Die Aufgabe der therapeutischen oder pädagogischen Begleitperson liegt vor allem darin, den kreativen Raum der schaffenden Person, also den Rahmen, zu beschützen und Ablenkungen so gut wie möglich fernzuhalten.

Diese Art von Spurensuche gilt als sakraler, schöpferischer Akt, der wie eine klassische Psychotherapiestunde durch nichts und niemanden gestört werden darf und ebensolcher Diskretion zu unterleigen hat.

Stern sprach auch davon, dass gerade Kinderzeichnungen in keiner Weise kommentiert werden sollten, sie seien auch keine Werke, die ausgestellt gehören. Vielmehr seien sie als vitale Äußerungen zu verstehen, die dem Kind allein gehören, sie sind Teil seiens Spiels, seiner Welt.

Mit diesen Augen betrachtet, erfährt das Kind nämlich etwas Wesentliches über Respekt und Wertschäzung seiner Welt – ein wunderbarer Stützpfeiler für ein späteres, erwachsenes, selbstverantwortliches mutiges Leben.

Darüber hinaus kommt – wie in jeder anderen Psychotherapie auch – der Bearbeitung des beziehungsgeschehens zwischen schaffender person und Begleiter besondere Bedeutung zu.

Immer wieder malte ich die selben Themen, aus verschiedensten Perspektiven, bis ich es endlich loslassen konnte. Das malen von Bildern, und das entwerfen und weben von Wandteppichen wurde eine Teil meiner Trauerarbeit.

Etwas zur Ausdruck zu bringen, was schwer in Worte zu fassen ist kann sehr heilsam sein. Das muß nicht malen sein, das kann mit Worte, Bewegung, Tanz, Theater, mit Töne, Klänge und Gesang sein. Einfach ein Ausdruck zu finden für das was einem innerlich bewegt.

Ich habe eine Klientin vor einiger Zeit aus einer Depression „hinausbegleitet“ . Ihr Wunsch war es immer zu schreiben, aber sie hatte sich nie richtig getraut, im Elternhaus war jede Form von Kreativität stark unterdrückt worden. Sie fing an Tagebuch zu schreiben, später entstanden Gedichte die das ausdrückten was sie gerade fühlte.

Eines Tages erzählte sie, dass sie angefangen hatte zu malen. Ich bat sie die Bilder mitzunehmen in der nächsten Stunde. Das tat sie auch und wir arbeiteten mit den Themen die dargestellt waren. Es war für die Klientin zuerst nicht leicht überhaupt herzuzeigen was sie gemalt hatte. Die Unterdrückung ihrer Ausdruckskraft die sie als Kind Zuhause erfahren hatte war stark zu spüren. Alleine mit diesen Themen zu arbeiten, trugen schon ein großer Beitrag zum Heilungsprozess bei.

Es gehört einfach zu den menschlichen Grundbedürfnissen, sich auszudrücken und durch verschiedenen Medien zu kommunizieren. Das machten sogar unsere Vorfahren vor Tausenden von Jahren als sie in Felswänden verschiedene Zeichen hinterließen, die sie bei unterschiedlichste Tätigkeiten darstellten.